Neue Casting-Formate als Quotenrenner

Langsam wird’s unappetitlich, was uns die geballte Kompetenz der TV-Macher als Casting-Menü auf die Speisekarte setzt. Da nun nahezu jeder große Sender mit dem Potential für kurzweilige Karrieren und einmalige Blamagen ausgestattet ist, wird es Zeit, ein paar echte Quotengaranten auf den Markt zu bringen.

Deutschland ist ein Eldorado für Casting-Fetischisten. Es vergeht kaum ein Abend, an dem nicht irgendwelche, auf die große Karriere hoffenden No-Names durch das Bild wackeln, tanzen, singen und laufen. Selbst die öffentlich-rechtlichen Sender haben mittlerweile das Potential des Massenslapsticks erkannt, wollen sich diese Quoten- und Sponsoringquelle nicht entgehen lassen und schicken heiße Eisen ins Rennen.

Als neuer Dieter Bohlen des ZDF soll Gottschalk mit „Musical-Showstar 2008“ frische Drei-Groschen-Talente finden. Fraglich ist, warum der Thommy der Nation sich das mit vorhersehbar mäßigem Erfolg antut. Wenn man seit Jahren ganz oben ist, sollte man dann als sogenannte Gallionsfigur für das Abkopieren privater Konzepte herhalten?

Womit ich gleich zur nächsten aktuellen Musical-Therapie kommen: „Ich Tarzan, Du Jane“ ist der verheißungsvolle Titel, der statt knisternder Oberkörpererotik und kühlem, weiblichen Charme aus dem Urwald für eine der größten Katastrophen von Sat1 steht. Denn kaum jemand will dieses Format sehen. Selbst hart gesottene Musical-Fans aus Bornhöved-Nord schalten weiter. Ein Tipp: Vor der Sendung wäre eine Casting-Show für eine anständige Jury ratsam gewesen. Nehmen wir zum Beispiel Jury-Mitglied und Ex-Theaterleiter Michael Hildebrandt: Noch nie gehört? Ist auch nicht weiter wichtig.

An DSDS habe ich mich inzwischen gewöhnt. Läuft seit Jahren auf RTL und ist quasi der kurzweilige Spaß, sich schnell noch ein paar Sangestalente anzuschauen, die man im Zweifelsfall (Ausnahmen bestätigen die Regel) nie wieder sieht. Und zu den Models auf Pro7: Welcher Mann kann hübschen Frauen – und vor allem Heidi Klum – widerstehen? Da verzeiht man doch gerne, nicht wahr Bruce? Um näher auf Dschungelcamps, Popstars und andere Talente einzugehen, fehlt mir leider die Durchhaltekapazität vor dem TV-Gerät.

Hier nun meine Vorschläge für garantierte Casting-Quotenrenner:

Tagesschau-Casting
30 Minuten vor dem Sendetermin stellen sich fünf Kandidaten im Schnelldurchlauf vor. Dieser Durchlauf wird alle drei Minuten wiederholt und ist ansonsten von Werbung unterbrochen. Um Punkt 20:00 Uhr wird verkündet, welcher der Teilnehmer die meisten Anrufe erhielt und die nächsten zwölf Minuten als Moderator/in aktiv ist.

Bundesliga-Casting
Fußball wird neu definiert. Die Vereine sparen horrende Trainergehälter und sichern weitere Einnahmequellen. Die Zuschauer entscheiden, wer in der Anfangself der Mannschaften steht, wer ausgewechselt wird oder auf der Tribüne sitzt. Vor jedem Spiel stellen sich die Kicker ihre Erfolge und artistische Ball-Einlagen sowie die besten Blutgrätschen vor. Premiere könnte die Senderechte global vermarkten.

Politiker-Casting
Alles dufte; herkömmliche Wahlen sind in Zukunft nicht mehr von zu hoher Relevanz geprägt. Einfache Menschen aus dem Volk bekommen eine Plattform zur Selbstdarstellung und werden von den Zuschauern in interessante Positionen gewählt. Einfach anrufen oder SMS schicken. Als Bonus winken die uneingeschränkte Nutzung der Flugbereitschaft, Auslandsreisen zu Verhandlungen mit dem US-Präsidenten und konkrete Entscheidungen zur Rente.

Mallorca-Casting
Jürgen Drews entscheidet, wer im Sommer nach Mallorca fliegen darf. Bewerber zeigen sich mit ihrer besten Luftmatratze, den bevorzugten Hotelwünschen und outen sich als Liegestuhl-Badetuch-Blockierer oder nicht. Zur Belohnung bekommen die Reisenden ein Extra-Freibier in Drews Stammclub Oberbayern.

Premieren-Casting
Eine Sensation, die sich an den geringen Bruchteil der Bevölkerung richtet, der vom Aussterben bedroht ist: Die noch nie gecasteten Menschen in Deutschland. In den letzten Einöden und aus den verzwicktesten Winkeln des Landes holen die TV-Macher einsame Bürger zusammen, die noch nie Teilnehmer einer Casting-Show waren. Man wird sie bestaunen, die Ah’s und Oh’s werden im ganzen Land zu hören sein. Diese besondere Spezies muss sich verpflichten, als Protagonist in einer der o.g. Shows dabei zu sein.

In diesem Sinne – ich geh jetzt zum TV rüber; heute läuft meines Wissens keine Casting-Show. Das macht Appetit. Aber halt, da war doch noch was: Paris Hilton sucht in den USA ihre neue beste Freundin – bald in einer Castingshow zu bewundern. Bestimmt auch bei uns…