Interview: Das fast in Vergessenheit geratene Edelschaf Saxon Merino

Die CarlMarie GmbH, Online-Fachhändler für Unterwäsche, Loungewear und Sportwäsche, konnte in einem Gespräch mit Dr. Regina Walther über das Saxon Merino sprechen.

Im Interview mit dem CarlMarie-Magazin erklärt die ehemalige Vorsitzende des sächsischen Schaf- und Ziegenzuchtverbandes e.V., eine Kennerin der Geschichte des Merino-Schafes, wie das Saxon Merino zu seinem Ruhm gelangte und wie es hierzulande in Vergessenheit geriet, während es am anderen Ende der Welt in Australien und Neuseeland als Edelschaf fortlebt.

CarlMarie: Frau Dr. Walther, der Begriff “Saxon Merino” ist keine deutsche Erfindung, oder?

Dr. Regina Walther: Nein. Die Rasse Saxon Merino gab und gibt es nur in Australien. Sie wurde dort nach ihrer Herkunft benannt, und das war Sachsen.

CarlMarie: Wie kam es zu dem Ruhm?

Dr. Regina Walther: Die Geschichte des sächsischen Merino-Schafs reicht bis ins frühe 18. Jahrhundert zurück. Spanien hatte zu diesem Zeitpunkt das europäische Monopol auf Merino-Wolle. Cousin des spanischen Königs Karl III. war Prinz Xaver, der Kurfürst in Sachsen. Aufgrund des Siebenjährigen Krieges lag um 1765 die sächsische Schäferei am Boden. Die Schafbestände waren zum großen Teil aufgegessen, an züchterisch leistungsfähige Schafe war also nicht zu denken.

Dr. Regina Walther spricht bei CarlMarie über das Saxon Merino
Dr. Regina Walther spricht bei CarlMarie über das Saxon Merino

CarlMarie: Wie kam es zu der ersten Lieferung nach Sachsen?

Dr. Regina Walther: Nachdem Karl III. die Ausfuhr genehmigt hatte, wurden am 30. April 1765 229 Merino-Schafe in Cadíz eingeschifft und nach Hamburg gebracht. 222 kamen dort am 19. Juni an. Von Hamburg ging es danach weiter auf einem 600 Kilometer langen Fußmarsch nach Stolpen. Das war eine immense Leistung, nur zwei Schafe überlebten den Marsch nicht. Zwei spanische Schäfer betreuten die Wanderung. Sie blieben ein Jahr in Sachsen und schulten die hiesigen Schäfer.

CarlMarie: Das sächsische Merinoschaf ist das Ergebnis einer Kreuzung, oder?

Dr. Regina Walther: Im Prinzig ist das richtig. Das Schaf, das nach Sachsen kam, war das sogenannte Eskurial, benannt nach einem Dorf in Spanien. Ein Vorteil war, dass die 220 Schafe, die in Stolpen anlangten, nicht einfach auf Bauernhöfe verteilt, sondern in Kammer- und Rittergüter züchterisch betreut wurden.

Dort wurden reine Merinoböcke mit sächsischen Landschafen verpaart. Darüber hinaus verblieben 16 spanische Böcke und 125 spanische Mutterschafe im Stolpener Tiergarten, die reinrassig verpaart wurden und somit mit ihrer Nachzucht den Grundstock für die erfolgreiche Merinozucht in Sachsen begründeten.

CarlMarie: Welche Typen gab es?

Dr. Regina Walther: Sechs, je nach Zucht und Entwicklung. Den ersten Typ nannte man Elektoral-Schaf. “Elector” ist der englische Begriff für Kurfürst, weshalb die Engländer das Vlies dieser Schafe auch als kurfürstliche Wolle bezeichneten. Es folgten nach Zuchtrichtung das Negretti, das Eskurial, das Merinotuchwollschaf, das Merinostoffwollschaf und das Merinokammwollschaf. Ab 1862 erfolgte die Einkreuzung von französischen Kammwollschafen.

CarlMarie: Was macht die Wolle des sächsischen Merino-Schafes so besonders?

Dr. Regina Walther: Es ist seine Feinheit. Merino-Wolle ist generell einer der feinsten unter den Schafwollen. Manche Typen können es sogar mit Seide oder Kaschmir aufnehmen, deren Fasern einen Durchmesser von 11.5-15 μm (Mikrometer, auch Mikron genannt, Anmerkung der Redaktion) haben. Diese Feinheit nennt man ultrafein. Eine Kategorie darüber, also 15-18.5 μm, wird als superfein bezeichnet. Diese Feinheit hatte bereits das sächsische Merino Mitte des 19. Jahrhunderts.

CarlMarie: Wofür verwendet man es?

Dr. Regina Walther: Weil es so fein ist, also edel, wird es vor allem im Kammgarn-Sektor eingesetzt. Wenn Sie einen Anzug von über 1000 Euro tragen, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er aus Merino-Kammgarn hergestellt wurde, das man eben auch aus dem Saxon-Merino gewinnt.

CarlMarie: Was ist passiert mit dem berühmten Schaf, dass es am anderen Ende der Welt weiterlebt, hier aber so gut wie vergessen ist?

Dr. Regina Walther: Was mit allem passiert ist, das mit Wolle und Textilindustrie zu tun hat: ihr allgemeiner Niedergang durch die Verschiebung von Produktion, Haltung und Verarbeitung an andere Standorte. Das setzte schon um 1830 durch den Preisverfall für hochfeine Wolle ein.

Also strebte man in der Zucht die Kombination von Wolle und Fleisch an. Zudem hatte sich die Weiterverarbeitung der Wolle technologisch fortentwickelt, sprich es ließen sich mehr und mehr auch mittlere Feinheiten verspinnen und verweben. So paradox das klingt, aber das war der letzte notwendige Schritt hin zur eigenen Rasse.

(gekürzte Fassung)

Foto / Quelle: www.carlmarie.de