Faszination Grönland

Knirschend schiebt sich der Bug des kleinen roten Kutters durch die mächtigen Eisschollen, die unseren Weg hinaus vor die Küste säumen. Hier in Ilulissat im Westen Grönlands, der größten Insel der Welt, ist es um diese Jahreszeit Mitte Oktober schon ausgesprochen kalt und für Europäer kaum zu ertragen. Wie gut, dass ich dem Rat meiner Reiseleiterin gefolgt bin und mich nach dem Zwiebelhaut-Prinzip in mehreren Schichten warm angezogen habe. So spüre ich die -15 Grad Celsius nicht so sehr. Das eisige, -10 Grad kalte Wasser rings herum tut sein übriges, das Kälteempfinden eines Mitteleuropäers auf den Prüfstand zu stellen. Und das trotz strahlendem Sonnenschein wie er besser nicht in die Umgebung passen würde.

Aber das ist es doch, was ich hier erwarte, was Grönland ausmacht. Die Extremität der klimatischen Bedingungen, denke ich bei mir. Wie gut, dass der Grönländer so dichte und praktische Kleidung aus Robbenfell macht. Das ist zwar von Umweltschützern in der Vergangenheit hart kritisiert worden, liegt aber in der Natur der Bevölkerung hier und schützt zudem unvergleichlich vor Kälte.

Und endlich ist es soweit, von Ferne und aus dem Flugzeug hatte ich sie ja schon wahrgenommen: Drohend und doch faszinierend mit fast sakralem Charakter erheben sich die gigantischen Eisberge vor mir. Weiße Riesen, die stumm und mahnend im Wasser verharren. Und dabei ist es nur die Spitze von dem,. Was so einen Eisberg ausmacht, Bis zu 150 Meter liegen noch unter dem Wasser.

Glitzernd und in bizarren Strukturen, ja atemberaubend und für die Sinne kaum fassbar steigt ein weißer Gigant nach dem Anderen um mich herum auf, je weiter sich das Boot in die Eiswüste schiebt. Dichter werden die Eisschollen, es rummst und knarrt lauter, wenn das Eis mit dem Kahn zusammenstößt. Aber der Skipper ist erfahren und unsere Reiseleiterin Ida Pallesen beruhigt die Gäste an Bord. Heute wird es hier keine Titanic geben, auch keine kleine.

Der Ilulissat-Eisfjord
Neben soviel Stimmungs-Einfang gibt es dann von Reiseleiterin Ida auch mal ein paar sachliche Fakten. Die dicht gedrängten Eisberge vor der Küste Ilulissats haben nämlich durchaus einen geophysichen Hintergrund. Der Eisfjord nahe der Stadt, 250 Kilometer nördlich des Polarkreises, ist durch seine Gletscheraktivität fast vollständig mit Eis gefüllt.

Durch dieses Bewegungen wird das Eis ins offene Meer vor die Küste gedrückt und strandet dort, weil sich unter dem Wasser die Spitze eines hohen Berges befindet. Während der Gletscher in den Jahren 1950 bis 1999 stabil blieb, hat sich die Gletscherzunge in den Jahren 2001 bis 2007 um etwa zehn Kilometer zurückgezogen. Die gestrandeten Eisberge zeigen aber durchaus Aktivität, auch wenn Sie starr und still dazustehen scheinen. Und so kann es sein, dass schon im nächsten Jahr diese ganze Szene völlig anders aussieht, weil sich Eisberge drehen, voranbewegen oder aneinander reiben.

Eisberge im Ilulissat Fjord

Und wieder vergesse ich völlig alles um mich herum im Angesicht der Eisberge und in der Betrachtung der Formen und glitzernden Farben. Blau und grün und silbern und wieder weiß schimmert es. Die Sonne treibt hier Spiel und leuchtet bei diesem Wetter das Eis in allen Farbtönen aus. Risse werden sichtbar, als ob gleich ein Stück abbräche und glatt geschnittene Kanten, geschliffene Ebenen aber auch undefinierbare Bruchstellen.

Man kann sich kaum sattsehen. Eine tiefe Höhle am Fuß eines Eisbergs gibt mit Rätsel auf, wie kann so ein Loch so akkurat geschnitten sein? „Walgarage“ nennen die Einheimischen solche Höhlen im Eisberg spaßend, erklärt mit Ida. Denn einen Sinn machen diese Höhlen nicht. Aber nach Sinnen sucht hier draußen auch niemand. Das muss man erleben, in sich aufsaugen, im Kopf mitnehmen und im Bild festhalten.

Eine vergleichbare Atmosphäre in ihrer Einzigartigkeit und Konstellation wird man nirgends finden. Verloren und klein kommt sich der Mensch sich inmitten der weißen Riesen vor, die gut 100 Meter in die Höhe schießen. Da krächzt eine Möwe, die den Gipfel des Eises umfliegt, die Wellen schwappen an das Boot. Stille – Erhabenheit – Unwirklichkeit. So lässt sich der Moment umreißen. Und während das Boot sich langsam wieder in Richtung Ilulissat Hafen aufmacht, blicke ich wehmütig in den Sonnenuntergang, der nun die weißen Giganten in orange-rotes Licht taucht, bevor der Tag sich dem Ende neigt.

Ilulissat – Hafenort mit Tradition
Der kleine Hafenort Ilulissat, in dem ich dieser Tage Quartier bezogen habe ist eigentlich einer der größten Städte des Landes und kulturelles sowie wissenschaftliches und administratives Zentrum Grönlands nach der Hauptstadt Nuuk. Die Menschen leben hier in der von Jakob Severin einst gegründeten, heute drittgrößten Stadt des Landes, die dänisch auch Jakobshaven genannt wird.

Knud Rasmussen, der grönländisch-dänische Polarforscher, der hier in Ilulissat als Sohn des Missionars Christian Rasmussen 1879 geboren wurde, ist der wohl bekannteste Sohn der Stadt. Noch liegt nicht genug Schnee. Aber die Hunde vor dem Dorf in ihren Hütten sind schon unruhig, haben sie doch den ganzen Sommer über gestanden und drängen darauf, wieder zu laufen. Zahlreich und laut wahrnehmbar sind sie anzutreffen. Die Schlitten hängen noch eingemottet vor den Häusern. Aber bald wird das hierzulande typische Bild der Hundeschlitten wieder in den Straßen zu sehen sein.

Die Menschen leben hier von den zwei Fischfabriken des Ortes und vom Tourismus. Kunst und Kunsthandwerk treffe ich allerorts an. So schaue ich mir unweit des Hafens an, wie in einer kleinen Künstler-Werkstatt Figuren und Schmuck aus Materialien wie Moschusochsen-Hörnern, und Zähnen von Walen und Eisbären geschliffen werden. Traditionelle Formen von Geistern, Naturerscheinungen und dem Lebensumfeld der Inuit finden sich hier wieder.

Der Ilulissat-Eisfjord mit über 40 Kilometern Länge und sieben Kilometer Breite zählt seit 2004 zum UNESCO Weltnaturerbe. Hier liegen die Ursprünge der Innuit, der Ureinwohner des Landes, ehemalige Siedlungen am Randes des Fjords und der Diskobucht sind noch heute wahrnehmbar. Ein überschaubares, aber einfaches Leben in dem kalten Ort, der im Anblick der Abendsonne durchaus malerische Reize zeigt. Noch ist es im Oktober nicht kalt genug, dass auch die Schlittenhunde wieder anzutreffen sind.

Die Heimat des Weihnachtsmanns
Ein riesiger Briefkasten und ein überdimensionaler Schlitten treffe ich oberhalb der Dorfmitte an. Hier also wohnt er. Dann kommt er doch vom Nordpol, denke ich bei mir und meine Santa Claus, den Weihnachtsmann, der seine Heimat der Erzählung nach hier oben haben soll. Und tatsächlich, der Briefkasten mit gläserner Front ist schon gut gefüllt. Ist ja auch nicht mehr so lange bis Weihnachten, da muss sich der alte Mann mit dem weißen Bart langsam beeilen, die Wünsche aus aller Welt, die hierher gesendet werden, zu erfüllen.

Polarlichter oder die Mystik der grünen Erscheinung
Bevor ich die Diskobucht erwandere, zieht es mich noch einmal hinaus. Am Abend wartet ein besonderes Erlebnis auf mich – das Nordlicht, auch Polarlicht genannt. Denn in klaren Nächten kann man die grünen Leuchterscheinungen, ausgelöst durch Sonnenstaub die auf die Erdatmosphäre treffen, besonders gut hier in der Nähe des Nordpols wahrnehmen. Am besten dort, wo kein künstliches Licht störend hinzukommt.

So schippern wir noch einmal mit dem Boot hinaus zu den Eisbergen. Unwirklich und fast skurril wirken nun die weißen Wände, die sich um uns aus der stockfinsteren Dunkelheit erheben und vom Schiffslicht angestrahlt werden. Romantisch und doch auch ein wenig gruselnd mutet die Stimmung an,. Keiner der wenigen Bordgäste wagt zu sprechen, alle starren angestrengt in den Himmel.

Und dann ist es da: Wie ein grün schimmernder Vorhang am Horizont flattert und flackert es, das Nordlicht. Man soll nicht sprechen während das Licht zu sehen ist, erklärt mit Ida eine alte Inuit-Weisheit. Denn dann fordert man die Naturgewalt als Spiel der Götter heraus. Und der Sage nach verliert man dabei seinen Verstand als Opfergabe an die Götter. Auch die Wikinger sahen in den Nordlichtern Zeichen. Irgendwo auf der Welt wurde bei Erscheinen des Nordlichts eine große Schlacht geschlagen. Nach ihrer Vorstellung ritten die Walküren nach jedem Gefecht über den Himmel und wählten die Helden aus, die fortan an Odins Tafel speisen sollten. Dabei spiegelte sich das Licht des Mondes auf ihren schimmernden Rüstungen und das Nordlicht entstand.

Aber auch eine romantische Sage der Inuit gibt es rund um das Nordlicht. Und um diese zu erzählen bereitet Ida den Grönland-Kaffee für die Gäste zu. Die Inhalte haben Bedeutung: Ein Schuss Whisky und ein Schuss Grand Manier stehen für den Mann und die Frau. Beide in eine Tasse gegeben vereinigen sie sich.  Darüber kommt der schwarze Kaffee als Symbol der schwarzen Nacht. Und die weiße Sahne obenauf steht für das Eis rings umher. Als Krönung dann wird der Kahlúa Schnaps über dem Feuer erhitzt und noch brennend auf das Getränk gegeben. Das ist das Nordlicht unter dem sich das Paar vereinigt. Und der Sage nach entstehen aus Zeugungen in Nordlicht-Nächten kräftige Jungen, der für das Volk der Inuit als Jäger und Fischer überlebenswichtig war.

Die Diskobucht oder die Saga der Frauenschlucht
Am folgenden Tag erfahre ich dann noch eine eher grausige Saga der Inuit. Denn als wir auf dem Pfad durch das UNESCO-Schutzgebiet zum Rand des Ilulissat-Eisfjords wandern und an die atemberaubende Diskobucht gelangen, die nach der kreisrunden, gegenüberliegenden Insel benannt ist, kommen wir zu einer Spalte. Die Frauen-Spalte, wie mir Reiseleiterin Ida erklärt. Der Überlieferung nach stürzten sich hier die Frauen der Inuit hinunter in den Tod, wenn es nicht mehr genug Nahrung für den Stamm gab und die Vorräte im Winter zu Ende gingen. Nach Ansicht der Inuit konnte eine Frau, die ja nicht als Jägerin oder Fischerin arbeiten durfte, dem Volk keinen Nutzen mehr bringen und musste sich opfern.

Was speist der Grönländer?
Wie gut, dass solche Ansichten und Zeiten sich überlebt haben, denke ich und widme mich nach diesem beeindruckenden Weg zum Rand des Fjords der Nahrungsaufnahme. Was speist man nun so in Grönland? Die grönländische Esskultur ist eng verbunden mit den Gegebenheiten der Meeressäugetieren, Vögeln und dem Wild auf der Insel. Fleisch war von jeher wichtig für das körperlich anstrengende Leben der Inuit, da vor allem der harte arktische Winter an den Kräften zehren konnte.

So kommt durchaus das Fleisch von Robben, kleinen Walen, Mattak – der Walspeck – oder auch die große Grönland-Grabbe auf den Tisch. Susaat, die Suppe auf Robbenfleisch zählt zu den beliebten Nationalgerichten des Landes. Die ursprünglich aus Europa stammenden Gemüsebeilagen werden im Zuge der Klimaerwärmung nun auch in kleinen Mengen in Grönland angebaut. Kartoffeln und Erdbeeren kann man also vor allem im Sommer auch als einheimische Kost genießen.

Daneben kommen Engelwurz, Krähenbeere und Blaubeere zunehmend mit auf den Tisch und werden in schmackhaften Salaten verarbeitet. Rentierbraten steht als Wildfleisch genauso auf der Speisekarte wie Polarbär. Was für Europäer zunächst ungewöhnlich klingt, ist durchaus ein schmackhaftes Erlebnis. Papageientaucher und Eiderentenbrust gehören als kulinarische Spezialitäten der Lüfte ebenso zur grönländischen Küche, wie Kammmuscheln und Rotbarschfilet Meeresspezialitäten sind.

Und so geht mit wechselvollen Erlebnissen in der Natur rund um Ilulissat, mit kulinarischen Hochgenüssen und dem kurzen Kennenlernen der offenherzigen und gastfreundlichen Menschen des Landes der Kurzbesuch in der Kälte zu Ende. Viel kann man in der Natur in wenigen Tagen erleben. Wild und rauh ist das Leben hier und schenkt dem Menschen scheinbar nur wenig Wärme.

Dafür um so mehr kalte Naturgewalten, die einen in Staunen versetzen. Um so herzlicher und wärmer ist das Gemüt der Menschen hierzulande. Ob die anderen Orte ähnlich sind, was hat die Hauptstadt zu bieten, was der höchste Norden? Wie sieht die Welt hier im Sommer aus? Viele Fragen werfen sich mir auf und drängen geradezu dazu, noch einmal diese lange Reise in den Norden anzutreten. Denn Grönland ist ganz sicher eine Reise wert.

Wie kommt man hin?
Die relativ lange Anreise von Deutschland aus geht über Kopenhagen. Von dort fliegt einmal täglich die Air Greenland in einem 4-Stunden-Flug nach Kangerlussuaq, dem einzigen Ort mit einem internatonalen Flughafen. Von dort geht es ebenfalls weiter mit dem Flugzeug nach Ilulissat. Die Stadt ist nur per Flugzeug oder Schiff erreichbar, wie auch die meisten anderen Orte der Insel.

Zeitunterschied: Grönland weist gegenüber Mitteleuropa einen Zeitunterschied von -4 Stunden auf.

Währung: In Grönland gilt die dänische Krone: Umrechnung: 1 Euro = 7,45 DK (Stand Okt. 2014)

Unterkunft und Reisepakete:
Gut organisierte Reisepakete bietet der Reiseveranstalter Troll Tours als Tochter der zu Thomas Cook AG gehörenden Neckermann-Reisen an sowie auch greenland-travel als grönländischer Veranstalter www.trolltours.de/groenland.html und www.greenland-travel.com.

Das Hotel Arctic
Wer auf eigene Faust reisen will, kommt am besten im Arctic-Hotel über der Stadt auf einem Hügel unter und genießt dort nicht nur die komfortable Unterkunft der 4-Sterne Herberge, in der schon Angela Merkel übernachtete, sondern auch die einzigartige Aussicht auf den Hafen und die Bucht. Einzigartig ist es in diesem Hotel auch, dass man in künstlichen Iglus direkt an der Klippe vor dem Hotel übernachten und damit in den Genuss eines echten Grönland-Abenteuers auf hohem Niveau kommt. Denn die Iglus sind mit Bad und gemütlichem Schlafraum ausgestattet.

Informationen vor Ort und Tours:
World of Greenland mitten im Zentrum von Ilulissat ist ein kompetenter Ansprechpartner, hier vor allem die Reiseleiterin Ida Pallesen. Der Journeylist Philip Duckwitz ist freier Reisejournalist für verschiedene Magazine und Zeitungen im deutschsprachigen Raum. Jährlich bereist der Journeylist zahlreiche Kontinente und berichtet über Länder, Orte und Regionen, die noch nicht touristisch erschlossen sind oder wenig besucht wurden. Ein besonderer Themenschwerpunkt liegt in den Bereichen Natur, Adventure und Kultur.

Foto / Quelle: Der Journeylist Philip Duckwitz, journeylist.de, worldofgreenland.com