Woody Allen im Interview über Psychoanalyse, kalte Duschen und Europa als Retter

Tele 5 startet mit ‚Schmalspurganoven‘ am Sonntag, 03. August, 10.00 Uhr, eine 5-teilige Woody-Allen-Reihe. Es folgen ‚Verbrechen und andere Kleinigkeiten‘ ‚Eine Sommernachts-Sexkomödie‘, ‚Der Stadtneurotiker‘ und ‚Bananas‘

Tele 5: Viele Ihrer Filme vermischen Tragödie und Komödie. Was ist Ihnen lieber? Sie haben ja Filme beider Genres gedreht, gelten aber allgemein eher als Komödiant...

Woody Allen: Das Leben ist im Prinzip traurig, eine traurige Angelegenheit mit kleinen komödiantischen Inseln, nicht nur weil wir alle sterben müssen, sondern an und für sich. Für mich ist das Glas tatsächlich nicht halb voll oder halb leer, sondern absolut leer. Meine größte Obsession ist die Tatsache, dass wir sterblich sind. Darum sollten wir das Leben genießen, solange wir es können. Humor ist eine Weise, das zu tun, aber natürlich nicht die einzige.

Ihr neuer Film ‚Vicky Christina Barcelona‘ wurde in Spanien gedreht – zum ersten Mal. Sprechen Sie überhaupt Spanisch?

Nein, kein bisschen. Aber das war egal. Wissen Sie: Ich habe schon mit einem italienischen Kameramann gearbeitet, der kein Wort Englisch konnte, mit einem chinesischen Kameramann, der kein Wort Englisch konnte, mit französischen und italienischen Teams. Das ist trotzdem sehr einfach, denn wir machen die gleiche Arbeit, haben die gleichen Interessen. Es war großartig, mit den spanischen Darstellern Penelope Cruz und Javier Bardem zu arbeiten. Sie sind brillante Darsteller! Ich hatte über all die Jahrzehnte großes Glück: ich hatte immer sehr talentierte, sehr nette Menschen um mich – die wiederum mich und mein Werk toll aussehen ließen.

Rechnen Sie den Schauspieler Woody Allen dazu?

Nun, wissen Sie, wenn ich selbst mitspiele ist es für mich natürlich sehr einfach. Denn mir selbst muss ich nichts erklären. Weil ich das Drehbuch geschrieben habe, weiß ich, was ich will, es gibt selten Streit. [Lacht] Allerdings muss man auch Schauspielern wie Penelope oder Javier oder Scarlett Johansson nichts mehr erklären.

Sie drehen sehr viel, ein Film folgt auf den nächsten, ohne Pause, so dass Sie jedes Jahr mindestens einen neuen Film fertig stellen. Können Sie sich eigentlich ein Leben ohne Filme vorstellen?

Sehr gut sogar. Ich gehe gern ins Theater, ich mag Musik und Literatur. Und ich drehe ja auch nur dann, wenn klar ist, dass ich absolute künstlerische Kontrolle habe. Allerdings habe ich viele Ideen, die ich sehr, sehr gut finde. Ein Film pro Jahr hört sich vielleicht viel an, aber ich mache das ja nicht nach Fahrplan, ich arbeite einfach und mache so viel, wie ich kann, bevor ich sterbe. So aufwendig ist es auch nicht, einen Film zu machen. Die Technik des digitalen Schneidens hat manches beschleunigt, so dass ein Film heute sieben, acht, neun Monate braucht. Und danach sitze ich dann in meinem Haus herum, wissen Sie. Ich gucke mir im Fernsehen ein paar Basketball-Spiele an, ich übe Klarinette. Ich spiele mit meinen Kindern. Das ist alles schön, aber einen Film zu drehen, macht auf die Dauer noch mehr Spaß.

Auch die Arbeit am Set? Die ist doch sehr anstrengend…

Es ist aufregend, zu sehen, wie aus dem Geschriebenen plötzlich eine Szene entsteht, wie alles zum Leben erweckt wird. Es ist schon noch ein Unterschied zwischen meinem Arbeitszimmer und einem Raum, in dem man plötzlich mit Penelope Cruz und Scarlett Johansson herumsteht.

Was ist aus Ihrer Sicht das Gemeinsame Ihrer Filme?

Meine Filme erscheinen mir sehr, sehr verschieden. Es gibt keine Ähnlichkeit zwischen ‚Zelig‘ und ‚Bullets over Broadway‘ und ‚Manhattan‘. Aber es kann schon sein… von Außen betrachtet… möglich… Es ist wohl wie bei chinesischem Essen: Es gibt hunderte von verschiedenen Gerichten, aber irgendwie ist es immer chinesisches Essen.

Sie haben oft erzählt, dass Sie Ihre alten Filme nicht wieder ansehen. Aber gibt es welche, die Sie nicht vergessen können, die immer wieder kommen?

Meine alten Filme habe ich ziemlich vollständig vergessen. Manchmal kommen Leute auf mich zu, und sagen: „Ich habe Ihren Film im Fernsehen gesehen. Und ich habe die Szene mit der Frau und dem Polizisten geliebt.“ Und für mich selbst denke ich: Was zum Teufel für eine Szene? Oder jemand fragt: „Was haben Sie noch mal über schwangere Frauen gesagt?“ Und ich habe keine Ahnung, wovon er redet. Ich denke, meine Filme gehören der Öffentlichkeit, und sie kann damit tun, was sie will.

Viele Ihrer Filme spielen im Milieu ziemlich gut verdienender Künstler, man geht dauernd essen, die Frauen shoppen den ganzen Tag in der Park Avenue, tragen Haute Couture-Kleidung. Es gibt Ausnahmen, wie ‚Sweet and Lowdown‘, aber in der Regel handelt es sich um Menschen, die in Manhattan in tollen Wohnungen wohnen, tolle Autos fahren, wohlhabend und gebildet sind… Was ist mit den armen Leuten?

Ich habe mich auch schon gefragt, warum das so ist. Ich wurde nicht reich geboren, wuchs auf in der armen Arbeiterklasse. Eigentlich gibt es keinen Grund… Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst etwas Geld verdient habe, und ich zeige einfach, was ich um mich herum beobachte. Zugleich glaube ich nicht, dass ich abgehoben bin. Ich verstehe noch immer das Lebensgefühl der unteren Klassen.

In Ihren Filmen spielt immer schon Psychoanalyse eine herausragende Rolle. Wie würden Sie nach all den Jahren Ihre persönlichen Erfahrungen zusammenfassen?

Sehr positiv. Ich denke, ich bin kuriert und fühle mich jetzt zutiefst perfekt. Sehen Sie, ich kann nur sagen: Für mich war die Psychoanalyse eine eher gute als schlechte Erfahrung. Es war vielleicht nicht so toll, wie ich mal erhofft hatte, nicht etwas Magisches, aber ziemlich gut, mehr Plus, als Minus.

Haben Sie keine Angst, Ihnen könnte mal etwas misslingen?

Nein, ich habe nie Angst. Wenn man mit einem Film anfängt, dann ist man immer überzeugt: Das wird großartig, spektakulär, Geschichte machend. Während ich einen Stoff schreibe, die Schauspieler caste und drehe, finde ich alles toll. Dies ist großartig und das ist großartig, da gibt es keinen Realitätstest. Erst, wenn ich dann im Schneideraum sehe, was ich wirklich gemacht habe, empfinde ich Furcht und Panik. Wie eine kalte Dusche: Oh Gott, was hab ich da bloß gemacht!

Sie drehen neuerdings dauernd in Europa. Warum?

Ich liebe Europa. Ich will einen Film in Paris drehen, einen in Italien, dann will ich zurück nach London, dann zurück nach Spanien. Immer in Großstädten. All diese Städte sind extrem angenehm. Sie sind nicht zu ruhig und klein und anspruchslos, sie sind aufregend, oft aufregender als meine Heimatstadt New York. Man kann wirklich Dümmeres tun, als ein paar Monate in London oder Barcelona zu verbringen.

Sie haben immer großen Wert auf Unabhängigkeit gelegt…

Nun, die US-Filmindustrie, das wissen Sie ja, ist nicht eine der sensibelsten Institutionen der Welt. Aber ab und zu ergibt es sich, mit einer eher klugen Gruppe zusammenzuarbeiten. Es ist ein dauernder Kampf: Sie streiten sich, drohen, und wenn Sie versuchen, etwas künstlerisch Kreatives zu schaffen, sind Sie damit beschäftigt, den Einfluss der Studio-Leute zu vermeiden, die sich eigentlich nicht einmischen sollten, weil das nicht ihr Bereich ist. Sie denken aber, dass sie davon etwas verstehen. Geschäftsleute sollten sich nicht in kreative Fragen einmischen. In England war es sehr schnell möglich, zu machen, was ich wollte.

Ihre Filme sind in Europa viel erfolgreicher als in den USA. Woran liegt das?

Ich habe mein künstlerisches Überleben sicher Europa zu verdanken. Warum das so ist, dafür habe ich zwei Theorien. Die eine ist, dass man immer selber das macht, was man mochte, als man jünger war. Ich mochte früher vor allem europäisches Kino, Bergman vor allem, aber überhaupt das Kino. Ich schätze auch die Literatur: Saul Bellow, Philip Roth, Thomas Mann und Gabriel Garcia Marquez. Vielleicht spürt das europäische Publikum diese emotionale Nähe ganz unbewusst. Die andere Theorie ist, dass es daran liegt, dass die Filme in Europa übersetzt werden, und dass die Übersetzungen so gut sind, dass die Filme klüger werden und das Publikum die Fehler nicht mehr bemerkt. Ich komme in Europa einfach besser davon.

Sie arbeiten oft mit ganz ausgezeichneten, sehr bekannten Darstellern zusammen. Zugleich entdecken Sie immer wieder relativ unbekannte Schauspieler, denen Sie Hauptrollen geben. Wie kommen Sie zu Ihren Darstellern?

Wir können es uns nicht leisten, so viel Geld zu zahlen. Es ist schwer, Leuten solche relativ unlukrativen Angebote zu machen. Ich kann nur die nehmen, die zwischen lukrativen Arbeiten frei sind. Aber ich schaue mich um.

Ihre Filme laufen auf großen Festivals, aber nie im Wettbewerb. Warum?

Ich habe mich noch nie einem Wettbewerb unterworfen – in keinem Aspekt meines Lebens.

Zeigen Sie Ihre Drehbücher eigentlich irgendjemandem, bevor Sie drehen? Fragen Sie andere nach Ihrer Meinung? Gibt es Vertraute?

Nein, eigentlich nicht. Wenn der Film fertig ist, zeige ich ihn meiner Frau und ein, zwei Freunden. Ich bin schon sehr neugierig, was sie denken – aber der Film ist dann natürlich längst fertig. Da ist nichts mehr zu ändern.

Was bedeutet Ihnen Ruhm?

Bevor man ins Showbusiness geht, stellt man sich Ruhm anders vor als er tatsächlich ist. Ruhm hat natürlich seine Vorteile: Man bekommt bessere Sitze im Restaurant oder man kann den Arzt auch am Wochenende anrufen. Aber es hat auch Nachteile. Man verliert einen großen Teil seiner Privatsphäre. Das muss man einfach akzeptieren, es gibt da kein Zurück.

Denken Sie manchmal zurück?

Manchmal. Ja, das ist eine Falle, in die man gehen kann. Ein nostalgischer Schimmer, der dann alles andere überwiegt. Eine verführerische Falle. Aber eben auch Zeitverschwendung.

Interview: Rüdiger Suchsland

Fotos: Tele 5