Der VOB e.V. meldet: Achtung Häufung von Hepatitis-C-Fällen

40 Jahre nach dem Blutskandal (irreführend bekannt als Blut-AIDS-Skandal) der weltweit größten Pharmakatastrophe, beklagen die Opfer immer mehr Todesfälle in ihren Reihen infolge der frühen Hep-C-Infektion. Im Vertrauen auf vermeintlich sichere Medikamente infizierten sich tausende Menschen nämlich nicht nur mit AIDS sondern mit der über Jahrzehnte asymptomatisch verlaufenden Hep-C. Fatal ist, dass diese Infektion erst Jahrzehnte später zu lebensbedrohlichen Erkrankungen, wie Leberzirrhose und Leberkrebs führen kann.

Hierzu der Vorstandsvorsitzende des VOB Michael Diederich:“Damals war es AIDS heute ist es Hep-C, die für uns tödlich ist. Allein in den letzten Monaten haben wir drei Betroffene an den Spätfolgen der Hep-C verloren.“

Viele Blutuntersuchungen sind nötig
Viele Blutuntersuchungen sind nötig / (c) pixabay.com – PublicDomainPictures

Basierend auf dem Informationsfreiheitsgesetz beauftragte der VOB den in Medizinskandalen erfahrenen Historiker Tobias Arndt, im Bundesarchiv mit dem Fokus auf Hep-C nach den ersten Warnzeichen des Blutskandals zu suchen. Er stieß auf belastende Dokumente, die zeigen, dass mit Hep-C verunreinigte Blutprodukte trotz des bekannten gesundheitlichen Risikos darüber hinaus in extrem hoher Zahl an Patient:innen mit Gerinnungsstörungen verabreicht worden sind. Hierzu der Historiker: „Das Problem der Übertragung von Hepatitis durch Faktor VIII-Blutprodukte war in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik auf Regierungsebene bekannt. Allein in lebensbedrohlichen Situationen, so eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten aus 1974, könne ein Hepatitis-Risiko hingenommen werden“ (zit. nach Tobias Arndt).

Doch diese enge Indikation wurde ignoriert. Im Gegenteil, Deutschland entwickelte sich in den 1970er bis 80er Jahren zum Spitzenreiter, was den Verbrauch der aus Blutplasma hergestellten Gerinnungspräparate betrifft. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten, in denen 300 Mio. und in Großbritannien, wo 40-50 Mio. Einheiten pro Jahr verabreicht wurden, lag der Verbrauch in der Bundesrepublik mit 250 Mio. Einheiten auffallend hoch.

Verband der Opfer des Blutskandals e.V. (© Lars Kuhfuss)
Verband der Opfer des Blutskandals e.V. (© Lars Kuhfuss)

Um diesen Bedarf zu decken, importierte Deutschland Blutderivate aus anderen Ländern, wie z.B. aus den USA. 1974 formulierte Prof. Spielmann, damaliger Direktor des Instituts für Immunhämatologie der Universität Frankfurt, in einer gutachterlichen Stellungnahme auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten zum Thema der Einfuhren aus den USA: „Zurzeit kann die Bundesregierung nicht mit Sicherheit ausschließen, dass Blutbestandteile importiert werden, die nach den Untersuchungen amerikanischer Gesundheitsbehörden ein erhebliches gesundheitliches Risiko für den Empfänger darstellen. Es ist deshalb auch gut möglich, dass in der Bundesrepublik solche Blutbestandteile amerikanischer Herkunft verwendet werden, welche von den US-amerikanischen Gesundheitsbehörden dort nicht zur Anwendung am Menschen freigegeben wurden“ (zit. nach Tobias Arndt).

Auch bei der Herkunftsdeklaration oder Rückverfolgbarkeit der importierten Blutprodukte sahen die Behörden nicht genau hin. Selbst das Arzneimittelgesetz bot damals keinen Schutz, wie Dr. Nagel in seinem Gutachten feststellt: „Eine Deklaration der Herkunft des Rohmaterials ist im Arzneimittelgesetz 1976 nicht vorgesehen und kann auch im Verordnungswege nicht eingeführt werden.“ (Tobias Arndt: http://allgege.org/wp-content/uploads/2022/11/Infos-zur-Pressemitteilung.pdf)

Diese Situation blieb bis Anfang Mitte der 1980er Jahre bestehen und mündete in den Blutskandal mit den bekannten Folgen, die bis in die Gegenwart reichen und auch in Zukunft belasten können.

Wenn nicht sofort gehandelt wird!

Jüngst wurden in Großbritannien im Rahmen öffentlichkeitswirksamer Kampagnen Entschädigungszahlungen in Höhe von 100.000€ an 4.000 Opfer mit Hep-C geleistet (https://www.bbc.com/news/health-62565747). Wie viele Opfer Deutschland zu beklagen hat, ist unbekannt, lässt sich aber anhand des enorm hohen Verbrauchs hochrechnen. Unverantwortlich ist, dass in Deutschland bis dato nicht systematisch erhoben wurde, wie (s.o.) viele Menschen sich vor 1990 mit Hep-C infiziert haben.

Daher appelliert der VOB an das Bundesgesundheitsminsterium nicht nur die Opfer zu entschädigen, sondern eine sofortige Erfassung der Menschen auf den Weg zu bringen, die in den 1980er Jahren Gerinnungspräparate oder Bluttransfusionen erhalten haben.

So wie die Mutter von Lisa K. aus dem VOB, Trägerin des Von-Willebrand-Syndroms, einer angeborenen Blutstillungsstörung, von der immerhin ca.1% der Bevölkerung betroffen ist (https://www.dhg.de/blutungskrankheiten/von-willebrand-syndrom.html). Vor den Geburten ihrer Töchter erhielt sie angeblich sichere Gerinnungspräparate und 2020 erkrankte sie an Leberkrebs.

Nicht nur, dass Lisas Mutter vor wenigen Wochen verstorben ist, Lisa und ihre Familie mussten auch Angst haben, sich selber und ihre Familien mit Hep-C angesteckt zu haben. Es sind solche Erfahrungswerte, auf die der VOB den Verdacht gründet, dass unter den 800.000 Menschen mit Von-Willebrand-Syndrom sich viele unwissentlich mit Hep-C infiziert und möglicherweise weitere Personen angesteckt haben.

Die Forderung der WHO, Hep-C bis 2030 auszumerzen, befürwortet der VOB ausdrücklich. Er macht aber darauf aufmerksam, dass der hausärztliche Check-up zwar Patient:innen ab 35 Jahren einen kostenlosen Hep-C-Test ermöglicht, dieser jedoch wegen des hohen Ansteckungsrisikos zu kurz greift und auch jüngeren angeraten werden soll. Zudem muss die Bevölkerung umfassend und barrierefrei informiert werden, denn Hep-C ist dank neuer Therapien heilbar. Das ist die gute Nachricht.

Quelle / Foto: www.nochleben.de