Wenn man will, aber nicht kann

Schätzungen zufolge haben zwei von drei Haushalten mindestens einen Lebenshilfe-Ratgeber im Bücherregal stehen. Der Ratgeber-Handel brummt und die Absätze sind prächtig. Für jedes Problem gibt es die passende Hilfe: Vom Haustier-Trennungsschmerz nach Scheidung vom Ehepartner bis zum Ärger-Management.

Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die meisten Menschen greifen auch heute noch lieber zuerst zur literarischen Hilfe als dass sie zum Psychologen gehen. Doch wie gut sind populärwissenschaftliche Psycho-Hilfen wirklich? Anders als bei Kochrezepten oder Bauanleitungen lässt sich bei (zwischen)menschlichen Problemen nur schwer überprüfen, wie effizient und vor allem wie nachhaltig Lebenshilfen sind. Das Gros der Ratgeber folgt interessanterweise immer einem ganz bestimmten Muster.

Es bestärkt den Leser in seinem Glauben an eigene Fähigkeiten. „Vereinfache – Denke positiv – Sei offen“. Wie eine posthypnotische Suggestion sollen solche und ähnliche Mantras helfen, die Probleme zum Verschwinden zu bringen. Stereo PR fragte den Psychologen und Coach Dr. Rainer Schneider, was an Psycho-Ratgebern dran ist.

„Lebenshilfen und Ratgeber wirken“, sagt Schneider. „Ich füge aber hinzu: Sie wirken nicht bei allen Menschen und wenn sie wirken, haben viele eine eher kurze Halbwertzeit“. Laut Schneider liegt das daran, dass jedes noch so beherzte Wollen nichts hilft, wenn man nicht kann. Das sei die in der Psychologie altbekannte Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz, also dem Wissen und dem Können. Wenn eines von beiden fehlt, tue man sich beim Umsetzen von Ratgeber-Zielen sehr schwer.

„Nehmen Sie das Beispiel Motivation. Die scheint ja – wenn man der populärwissenschaftlichen Presse Glauben schenkt – bei immer mehr Menschen zu fluktuieren oder gar zu schwinden. Ein postmodernes Problem quasi. Psychologisch ist es aber so, dass jeder Mensch motiviert ist. Das liegt in seiner Natur. Was zu Schwierigkeiten bei der Motivation führt, sind negative Lernerfahrungen und die Unkenntnis von eigenen Stärken und Schwächen“.

Tatsächlich gibt es zahlreiche Studien, die zeigen dass manche Menschen Ziele viel schlechter umsetzen, wenn sie positiv eingestellt sind und sich für jeden Teilerfolg belohnen. Sogar beim Flow, dem Flusserleben, hat man herausgefunden, dass dieser eher auftritt, wenn die Motivation zeitweilig und kurzfristig sinkt. Zu Deutsch heißt das, dass der alleinige Glaube an den Erfolg diesen paradoxerweise sogar unterminieren kann.

„Solche Studienergebnisse kann man nur verstehen, wenn man das komplexe Zusammenspiel von Persönlichkeit, Motivation und Selbststeuerung der betreffenden Menschen kennt. Das ist einer der Gründe, warum Psycho-Ratgeber eher nicht nachhaltig sind. Sie geben Empfehlungen ja rezeptbuchartig und für alle Menschen gleichermaßen aus.

Ein zweiter Grund ist, dass sie die Lösung der Probleme auf bewusstes Denken reduzieren, eben z.B. der positiven Glaubenshaltung. Ich nenne das Vereinfachungsillusion, denn zum Lösen von Problemen braucht es zum einen den Blick auf Schwierigkeiten und zum anderen Selbstregulationsfähigkeiten, die sich dem bewussten Denken verschließen.“ Psycho-Ratgeber scheinen also nicht die Lösung für Probleme zu sein. Zumindest nicht für die größeren. Klar ist, dass es die eine richtige Methode nicht gibt. Wenn also Ratgeber, dann eher ein Mix an Methoden. Als Laie aber den richtigen Mix zu finden, dürfte ein Problem sein, für das es wahrscheinlich wieder einen Ratgeber bräuchte.

Der Freiburger Psychologe Dr. phil. Dipl. Psych. Rainer Schneider betreibt eine psychologische Praxis, doziert, forscht und berät zu Themen wie Therapieeffekte und Selbstregulation und war unter anderem beratend tätig für den wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer. Er hat außerdem zusammen mit stereo pr eine neue psychologische Online-Motivations-Methode (Move) entwickelt, die als Teilnehmer des Innovationspreises der deutschen Wirtschaft 2011 ausgezeichnet wurde.

Foto/Quelle: www.recon-freiburg.biz