Nachhaltiges für Allergiker
|Farbecht, schmutzabweisend, knitterfrei und formbeständig: Der in vielen Kleidungsstücken enthaltene Chemiecocktail hat es in sich. Experten warnen seit Jahren vor den damit verbundenen Gesundheits- und Umweltschäden. Gekauft wird trotzdem.
Die giftige Gefahr, die viele beim Tragen der Kleidung kaum wahrnehmen, für Menschen mit Hautleiden wird sie rasch zur Qual. Auch Schnitte und Nähte, die die Haut mechanisch reizen, machen aus Couture Tortur. Sabine Schmidt weiß das aus eigener Erfahrung. Die 51-jährige Berlinerin litt viele Jahre an einer starken Neurodermitis. Jetzt hat sie das erste Modelabel für „Hautkleidung“ gegründet.
Kaum einen Gebrauchsgegenstand lassen wir so nahe an uns heran wie Kleidung. Doch wie gut wissen wir Bescheid über das, was wir auf der Haut tragen? Die Reihe der chemischen Prozesse, die unsere Garderobe farb- und formbeständig, knitterfest und fusselfrei machen, ist lang.
Die Etiketten verraten nichts darüber. Ob bei der Anpflanzung von Baumwolle, Flachs oder beim Seidenbau eingesetzte Insektizide und Pestizide, ob Farbstoffe, Imprägnierungen oder synthetische Beimischungen – der toxische Cocktail, der in vielen Kleidern steckt, würde einen dicken Beipackzettel füllen. Hunderte so genannter Ausrüststoffe machen eine Kennzeichnungspflicht schwierig.
Die wäre aus Sicht vieler wünschenswert. So ist nach Auffassung von Experten allein von rund 1600 eingesetzten Farben nur ein verschwindender Teil unbedenklich. Zahlreiche Stoffe gelten als fruchtschädigend und krebserregend. Noch dazu sind sie biologisch nicht abbaubar.
Über die genaue Wirkung der meisten eingesetzten Chemikalien jedoch ist schlicht wenig bekannt. Umfassende Kenntnisse über mögliche Risiken fehlen nach Aussage des Bundesinstituts für Risikobewertung allein schon deshalb, weil es keinerlei Zulassungs- oder Anmeldepflicht für Textilien gibt.
Textilsiegel bieten Schutz
Experten warnen seit Jahren vor den schweren Gesundheits- und Umweltschäden, die die giftigen Zusätze von der Produktion bis zur Entsorgung von Kleidung anrichten. Dringend empfohlen wird daher auch die gründliche Wäsche neuer Kleidungsstücke vor dem ersten Tragen. Nur: Reicht das aus?
Hautärzte vermuten, dass die Zunahme von Kontaktallergien besonders auch den Kleidergiften geschuldet ist. Doch fehlt hier noch der wissenschaftliche Nachweis. „Es gibt keine einheitlichen Produktionsstandards. Allein die chemischen Farbstoffe in den Textilien sind so unterschiedlich zusammengesetzt, dass das Ergebnis unserer Studie dazu unbefriedigend war“, berichtet der Erlangener Dermatologe Wolfgang Uter über eine der seltenen Untersuchungen zu dem Thema.
Für unbedenklich hält er die Textilien dennoch nicht. Von insgesamt 3.041 Testpersonen hatten 40 auf die enthaltenen chemischen Farbstoffe reagiert. Immerhin verzichteten heute viele Hersteller auf eine Reihe problematischer Chemikalien und produzierten nach strengeren Standards. „Wer beim Kleiderkauf auf Nummer Sicher gehen will, sollte auf entsprechende Textilsiegel achten“, rät Wolfgang Uter.
Textilbranche rechnet nicht mit Hautempfindlichen
Von denen gibt es neben dem am weitesten verbreiteten Öko-Tex 100 inzwischen eine ganze Reihe. So bieten etwa Ökolabels wie Avocado Store, Cotonea, Grüne Erde oder Hess Natur einer wachsenden Kundschaft Giftfreies aus ökologisch zertifizierter Produktion an.
Selbst Textilriesen wie C&A oder H&M haben das Geschäft mit den Öko-Siegeln entdeckt. Doch wer seine Haut, die Umwelt und die in der Textilbranche Beschäftigten zuverlässig schonen will, muss sich auskennen im Dschungel der Zertifikate. So entdeckt etwa Greenpeace bei allen Siegelanbietern Verbesserungsbedarf, auch mit Blick auf die beim Färben und in der Textilveredelung eingesetzten Chemikalien.
Allerdings sind Menschen mit Hautleiden nicht einmal dann gewappnet, wenn sie Giftfreies aus ökologisch zertifizierter Produktion anziehen: „Ein rauer Baumwollstoff kann noch so ökologisch produziert sein, die mechanische Reibung mit der Stoffoberfläche reizt die empfindliche Haut,“ weiß Xaxiraxi-Gründerin Sabine Schmidt aus eigener Erfahrung. Ähnliches gelte für gewebte Stoffe aus Leinen, für Wolle und für Nähte.
Auch Kleiderschnitte, bei denen an empfindlichen Stellen, etwa in der Achselhöhle Reibung erzeugt wird, machten vielen Hautempfindlichen das Leben schwer. Ihr nüchternes Fazit: „Die Ökolabels sind ein großer Silberstreif am Horizont. Aber sie rechnen kaum mit uns. Die Textilbranche hat uns einfach noch nicht auf dem Schirm.“
„Wenn niemand sonst das anbietet, muss ich es selber machen.“ Dabei ist die Zahl potenzieller Kunden hoch. Quälender Juckreiz, massive Rötungen, rissige Haut. Die Angaben dazu, wie viele Menschen sich in Deutschland allein mit Neurodermitis plagen, gehen auseinander. Dermatologen rechnen jedoch mit mindestens vier Millionen Betroffenen. Und jährlich werden es mehr.
Schon 2013 hat das Robert-Koch-Institut im Rahmen einer Allergie-Studie auf die Zunahme von Allergien in den vergangenen Jahrzehnten hingewiesen. Rund 3,5 Prozent der Erwachsenen in Deutschland erkrankten demnach im Laufe ihres Lebens an einer Neurodermitis, rund acht Prozent an einer Kontaktallergie. „Hautfreundliche Kleidung kann viele Probleme lösen,“ ist Sabine Schmidt überzeugt. Sie war es leid, Kleidungsstücke immer wieder verschenken zu müssen, weil ihre Haut allergisch reagierte.
Auch konnte sie auf der Suche nach attraktiver Kleidung für Allergiker nirgendwo fündig werden und so reifte der Entschluss: „Wenn niemand so etwas anbietet, muss ich das eben selbst machen.“ Die studierte Diplomkauffrau vertiefte sich in Textilkunde und Herstellungsprozesse, sprach mit Produktionsfirmen und Designern und kreierte ihre erste bis zu den Nähten hin hautfreundliche, exklusive Sommerkollektion für Frauen.
Gut zur Haut und gut für die Lebensfreude
Dabei geht es der Unternehmerin mit ihren lebensfrohen Entwürfen um weit mehr als die Vermeidung von unnötigen Hautreizungen. „Ich will mich schön fühlen können und Freude am Leben haben, auch wenn meine Haut aufgerissen, blutig gekratzt oder schuppig ist.
Wie oft zieht man sich gerade im Sommer resigniert in die eigenen vier Wände zurück, weil die einzige Alternative darin besteht, unter Lagen von Stoff zu schwitzen, um die Haut zu verstecken. Das tut weder der Haut noch einem selbst gut. Deshalb habe ich meine eigenen Stoff-Designs entwickeln lassen. Die bunten Muster kaschieren perfekt. Und meine Schnitte schützen die empfindlichen Körperstellen und lassen trotzdem viel Luft an die Haut.“
Klares Signal in die Branche
Bisher hat sie nur ein paar Eingeweihte begeistert. Seit Juni vertreibt sie unter dem Modelabel „Xaxiraxi“ ihre eigens für Allergiker entworfenen und hergestellten Tuniken, Kleider, Hosen und Boleros aus Bio-Baumwolle. Der Weg bis zum Online-Shop war steinig.
Erschwinglich sollte ihre Mode sein, und – das war ihr besonders wichtig – hergestellt unter würdigen Produktionsbedingungen. So günstig lasse sich in geringer Auflage nicht nachhaltig, fair und hautfreundlich produzieren, hatten ihr Branchenkenner entgegengehalten.
Sabine Schmidt hat sich davon nicht beirren lassen: In Gera fand sie einen Fashion-Spezialisten, der Schnitte und Nähte nach ihren Vorgaben entwirft. In Berlin begegnete sie in Katrin Dauer von Biostoffe-Berlin einer Textildesignerin, die weiß, worauf es bei Kreationen aus Bio-Baumwolle ankommt und für Xaxiraxi mit einer nach dem Ökostandard GOTS zertifizierten Produktionsfirma zusammenarbeitet.
Mit ihrer ersten Sommerkollektion, zu finden im Onlineshop unter Xaxiraxi.com, beweist Sabine Schmidt den Skeptikern jetzt das Gegenteil: farbenfroh, hautfreundlich und selbstbewusst. Ein deutliches Signal in die Textilbranche.
Foto / Quelle: xaxiraxi.com